Medizinisches Cannabis
Seit dem 1. März 2017 können Cannabisblüten und Extrakte aus Cannabis mittels Betäubungsmittel-(BtM-)Rezept verordnet werden. Die Rechtsgrundlage bildet das Gesetz zur „Änderung betäubungsmittelrechtlicher und anderer Vorschriften“.
Welchen Patienten kann Cannabis verordnet werden?
Im Gesetz wurde ausdrücklich darauf verzichtet, einzelne Indikationen aufzuführen. Cannabisblüten und -extrakte können daher für jede Indikation (Krankheit) verordnet werden, wenn „eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung im Einzelfall nicht zur Verfügung steht“ oder wenn diese Leistung „im Einzelfall nach der begründeten Einschätzung des behandelnden Vertragsarztes unter Abwägung der zu erwartenden Nebenwirkungen und unter Berücksichtigung des Krankheitszustandes der oder des Versicherten nicht zur Anwendung kommen kann“.
Bei welchen Indikationen ist Cannabis wirksam?
Bereits aus der Tatsache, dass der Gesetzgeber darauf verzichtet hat, im Gesetz einzelne Indikationen aufzuführen, wird deutlich, dass bis heute unbekannt ist, bei welchen Erkrankungen oder Symptomen Cannabis indiziert ist. Aktuell besteht für Cannabis für keine einzige Indikation eine Zulassung. In den Jahren 2007 bis 2016 erhielten allerdings Patienten mit mehr als 50 verschiedenen Erkrankungen/Symptomen eine Ausnahmeerlaubnis vom BfArM für eine ärztlich begleitete Selbsttherapie mit Medizinal-Cannabis. Es wird daher allgemein angenommen, dass Cannabis ein sehr breites therapeutisches Spektrum hat.
Als etablierte Indikationen für Cannabis-basierte Medikamente gelten chronische – insbesondere neuropathische – Schmerzen, Spastik (Steifigkeit) bei Multipler Sklerose, Appetitlosigkeit, Übelkeit und Erbrechen. Hinweise für positive Wirkungen reichen von neurologischen (Spastik und Schmerzen unterschiedlicher Ursachen, hyperkinetische Bewegungsstörungen), über dermatologische (Neurodermitis, Psoriasis, Akne inversa, Hyperhidrosis), ophthalmologische (Glaukom) und internistische (Arthritis, Colitis ulcerosa, Morbus Crohn) bis hin zu psychiatrischen Erkrankungen wie Depressionen, Angststörungen, posttraumatische Belastungsstörungen, Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörungen (ADHS) und Schlafstörungen.
Welche Einnahmearten sind möglich?
Grundsätzlich kann Cannabis inhaliert oder oral aufgenommen werden. Eine Inhalation ist durch Rauchen und Verdampfen mittels Vaporisator möglich. Der große Vorteil des Verdampfens liegt darin, dass keine potenziell schädigenden verbrannten Pflanzenmaterialien wie beim Rauchen eingeatmet werden. Die Wirkung von Cannabisinhaltstoffen ist bei inhalativer Aufnahme sehr verschieden von der bei oraler Aufnahme hinsichtlich Wirkeintritt, -stärke und -dauer. Welche Einnahmeart günstiger ist, hängt vom Wunsch des Patienten, der Indikation und gegebenenfalls Begleiterkrankungen ab. In Einzelfällen kann auch eine kombinierte orale und inhalative Einnahme sinnvoll sein.
Welche Nebenwirkungen können eintreten?
Akute Nebenwirkungen betreffen vor allem die Psyche und Psychomotorik (Euphorie, Angst, Müdigkeit, reduzierte psychomotorische Leistungsfähigkeit) sowie Herz und Kreislauf (Tachykardie, Blutdruckabfall, Schwindel, Synkope). Bei regelmäßiger Einnahme tritt meist eine Gewöhnung ein, sodass Cannabis-basierte Medikamente allgemein als gut verträglich gelten.
Welche Kontraindikationen bestehen?
Cannabis sollte bei Bestehen einer schweren Persönlichkeitsstörung, Psychose und schweren Herz-Kreislauf-Erkrankungen sowie Schwangeren und stillenden Müttern nicht angewendet werden. Wegen fehlender Daten sollte die Behandlung von Kindern und Jugendlichen vor der Pubertät sehr sorgfältig abgewogen werden. Besonders bei älteren Patienten können stärkere zentralnervöse und kardiovaskuläre Nebenwirkungen auftreten.
Kann eine Abhängigkeit eintreten?
Bisher wurde kein Fall einer Cannabisabhängigkeit infolge einer ärztlich überwachten Therapie publiziert, wenn eine Behandlung mit Cannabis oder einem Cannabis-basierten Medikament aus medizinischer Indikation erfolgte und keine der oben genannten Kontraindikationen bestand. Besonders bei abrupter Beendigung einer Therapie können gering bis mäßig ausgeprägte Entzugssymptome auftreten.
Zitiert aus Dtsch Arztebl 2017; 114(8): A 352–6